Sonntag, 25. Oktober 2015

Rio, São Paulo und wie es sonst so nach Jeri weiter ging

Auch wenn ich es nicht wollte, aber der Tag, an dem ich Jeri verließ, musste irgendwann kommen. Ein ganzer Monat war vorübergegangen, wie man es sich auf einer Reise nicht besser vorstellen kann. Jeder Tag war ein extrem entspannter Tag und darüber hinaus immer wieder aufs Neue erlebnisreich. Doch selbst wenn dieser Ort der für mich tatsächlich schönste auf Erden sein und bleiben sollte und der Wunsch nach sofortiger Sesshaftigkeit ganz sicher gegeben war, hielt ich weiterhin an meinen Reiseplänen fest, die mich noch an so viele andere schöne Orte bringen sollten. 
Nach den letzten Umarmungen mit Belen, Mauricio, seiner Mutter Lindalva und anderen neu gewonnenen Freunden, verabschiedete ich mich aus meinem gefundenen Paradies mit einer letzten Fahrt in einem Geländewagen zusammen mit Javier, der nach 2 Wochen Aufenthalt Jeri ebenfalls schwerenherzens verließ. Mit uns zusammen im Wagen fuhren noch Willow aus San Francisco und Ramón aus Gran Canaria. Beide waren in der vergangenen Woche ebenfalls im La Tapera Hostel untergekommen. Alle vier wollten wir nach Fortaleza, ca. 4 Autostunden von Jeri entfernt. Javier flog noch am selben Tag nach Salvador im brasilianischen Bundesstaat Bahia. Während es für mich, ebenfalls noch am selben Tag, mit dem Flugzeug weiter nach Rio gehen sollte, blieben Willow und Ramón noch eine Nacht in Fortaleza. Ich sollte die beiden zwei Tage später in Rio wieder treffen, doch von Javier musste ich mich am Flughafen für unbestimmte Zeit verabschieden. "Mach's gut mein deutscher Bruder! Mensch, was hatten wir eine coole Zeit zusammen. Ich hoffe ich sehe dich bald oder zumindest irgendwann wieder." Nach diesen Worten und einer letzten Umarmung ging Javier zum Gate. Zum ersten Mal auf dieser Reise fühlte ich mich für einen Augenblick so etwas wie allein. Auch wenn ich mir sicher war, dass dieses Gefühl nicht lange anhalten würde, war mir etwas merkwürdig zumute. Ich dachte über diese vielen schönen vergangenen Tage nach und glaubte sie noch sehr lange zu vermissen. Mauricio hatte während unserer vielen Gespräche immer wieder einen Satz zytiert, der für viele so Brasilianer typisch ist. A vida é uma grande piada (Das Leben ist ein großer Witz). "Das Leben zu ernst zu nehmen, ist ein ganz großer Fehler. Wir müssen es als das nehmen, was es ist, als einen ganz großen Witz. Denn ansonsten sind wir nicht bereit genug, den vielen Überraschungen entgegen zu treten, die uns das Leben immer wieder bringt." Die Erinnerung hieran ließen mich gleich viel besser fühlen.


Rio de Janeiro 
A cicade maravilhosa (die wundervolle Stadt), so wird Rio de Janeiro von seinen millionen Einwohnern (Cariocas genannt) und Besuchern immer wieder gern bezeichnet und auch so überzeugend gesehen. 


Viele Reisende, die ich unterwegs getroffen habe, erzählten mir wie überwältigt sie von dieser Stadt waren und von dem, was sie zu bieten hat. Ich selber blieb nicht allzu lange. Ich sage heute noch, dass es nicht der ideale Zeitpunkt für mich war, Rio zu besuchen. Ich hatte Sehnsucht nach Jeri und nach meinen dort kennen gelernten Freunden und kam deshalb nur langsam in Fahrt. Weil in Rio auch alles etwas teurer ist, entschied ich mich für ein extrem günstiges aber doch eher weniger bequemes Hostel im Stadtviertel Copacabana. Der gleichnamige Strand, nur fünf Blocks vom Hostel entfernt, erfüllte die Erwartung, die ich dafür hatte. Eine saubere, sehr breite und lange Sandfläche, gefolgt von einer für Surfer optimalen Brandung. Surfer sieht man hier jedoch sehr wenige, denn dafür ist die Praia de Copacabana einfach zu touristisch. Man merkt dies auch sofort, wenn man den Strand betritt. Geschätzt alle zwei Minuten kommt jemand zu dir und möchte dir entweder einen Caipirinha, ein Eis, ein Handtuch mit Brasilienflagge, einen Hut, irgendwelches Kunsthandwerk, Touren zu den Sehenswürdigkeiten oder was auch immer verkaufen. Der ebenfalls sehr bekannte Strand Praia de Ipanema war nicht viel anders, auch sehr schön, aber auch viel viel voller. 


Wie schon angekündigt, traf ich Willow und Ramón in Rio wieder. Nachdem wir an einem Tag noch mit der Seilbahn zum berühmten Pão de Açúcar (in deutsch bekannt als der Zuckerhut) hinauf fuhren, entschieden wir uns am nächsten Tag, im Rahmen unserer Besichtigung des Cristo Redentor, für eine abenteuerlichere Alternative, nämlich den steilen Wanderweg hinauf zu dieser Weltwunder-Statue zu laufen. Über diesen einundhalbstündigen Pfad steht weder was im Lonely Planet, noch in einem anderen Reiseführer. Die Mitarbeiter im Hostel rieten sogar davon ab, weil es zu steil, zu gefährlich und momentan auch zu heiß dafür wäre. Wir ließen uns von unserem Wunsch nicht abbringen und bestiegen diesen Monsterberg. Als wir später oben unter Hunderten (gefühlten Tausenden) von Leuten uns die Statue anschauten, wussten wir, dass wir genau das Richtige getan hatten. Nicht nur, dass wir Geld gespart hatten, weil wir weder mit der Zahnradbahn noch mit einem der vielen Minibusse hoch gefahren waren, sondern auch weil der Wanderweg der wesentlich interessantere Teil des Ausflugs war. Selten zuvor hatte ich so eine Ansammlung von Selfi-Süchtigen Touris auf einem kleinen Fleck (die Platform unterhalb der Statue ist nicht besonders groß) gesehen. Viele lagen dabei sogar auf dem Boden um ihr Gesicht mit Cristo im Hintergrund auf das Selfi zu bekommen. 


Diese kleine aber doch anspruchsvolle Wanderung machte Lust auf mehr. Daher entschied ich mich zwei Tage später für einen weiteren Gipfel in Rio. Von Os Dois Irmãos (übersetzt Die Zwei Brüder) aus, soll man bei gutem Wetter den besten Blick auf Rio und seine Küsten haben. Leider hatte ich nicht so viel Glück mit dem Wetter. Der Nebel erlaubte nur einen Teilblick auf das große Spektakel. Dennoch lohnte sich der Ausflug, vor allem der Rückweg nach unten. Denn während diesem lief ich mitten durch eine Favela, der Favela Vidigal. Das Thema "Favelas in Rio" hatte ich seit meiner Ankunft in der Stadt sehr skeptisch betrachtet. Viele Favelas (in deutsch bekannt als Armenviertel) in Rio sind eigentlich keine Favelas mehr, sondern wurden durch Verbesserung der Infrastruktur in den letzten Jahrzenten zu normalen Stadtvierteln. Dadurch entstanden aber auch neue touristische Geschäftsideen wie z.B. Hostels in Favelas oder Besichtigungstouren von Favelas, für mich die bekloppteste Idee überhaupt. Die Favela Vidigal war bekannt als eine besonders friedliche, weshalb ich ohne größere Bedenken durch spazieren konnte. Auf dem Weg zum Gipfel und wider hinunter hatte man sogar einen Blick auf Rocinha, die angeblich größte Favela in ganz Lateinamerika. Auch diese ist mittlerweile ein anerkanntes Stadtviertel von Rio. 




Ilha Grande
Ich brauchte nach meinen paar Tagen Rio wieder eine mehr naturgebundene Umgebung. Willow, die zwischenzeitlich mit Ramón für zwei Tage aus der Stadt geflohen war, um einen brasilianischen Freund im Landesinneren zu besuchen, den sie ca. drei Wochen zuvor woanders kennen gelernt hatten, überedete mich per Whatsapp mit ihr auf die Ilha Grande (dt. große Insel) zu fahren. Viel wusste ich über diese Insel nicht. Erst kurz vor der Abfahrt in Rio lass ich noch im Lonely Planet, dass die Insel zwar die drittgrößte Brasiliens sei, dennoch es aber dort keinen motorisierten Verkehr gab, was dafür sprach, dass es sich um ein wahres Naturparadies handeln musste. Das war es auch. Endlos viele Strände an allen Buchten und Ufern, die nicht nur türkisblaues Wasser boten sondern den weißesten und feinsten Sand, den man sich vorstellen kann. Viele davon lassen sich nur mit dem Boot über eine gebuchte Tour erreichen. Zu einigen Traumstränden läßt sich aber auch schön hin wandern, was Willow und ich bereits kurz nach der Ankunft taten.


Willow, die im Voraus einen Flug von São Paulo nach Buenos Aires gebucht hatte, unterschätzte wie so viele (ich bin davon nicht ausgenommen) die Entfernungen innerhalb Brasiliens und konnte daher nur zwei Tage auf der Insel bleiben. Hinzu kam, dass man die Ilha Grande - genauer gesagt ihre einzige mit Hostels und Pousadas besiedelter Bucht namens Abraão - spätestens um 17 Uhr mit dem Schnellboot verlassen muss, da man ansonsten bis zum nächsten Vormittag warten muss. Das wäre für Willow allerdings zu spät gewesen um ins 6 Stunden entfernte São Paulo noch rechtzeitig zu gelangen, da ihr Flug schon kurz nach Mittag ging. Ich blieb noch zwei Tage länger und reiste genau an dem Tag ab, als sich über dem Himmel graue Wolken stauten. 


Paraty
Trotz schlechtem Wetter hatte ich von der Küste noch immer nicht genug. In São Paulo wartete mein kolumbianischer Cousin Daniel auf meinen Besuch. Ich ließ ihn aber noch ein bisschen warten und besuchte für drei Tage das Kolonialstädtchen Paraty, das sich wie schon erwähnt an der Küste befindet. 


Am ersten Tag war das Wetter noch einigermaßen, danach war nur noch grauer Himmel zu sehen. Ich entschloss mich daher spontan für einen Kayakausflug, genauer gesagt ließ ich mit von drei Mitbewohnern aus meinem Hostel überreden mitzumachen. Es handelte sich dabei um Anniko und Jakob (beide aus Deutschland) und Fredrik aus Schweden. Eigentlich hatten wir das optimale Wetter für eine Kayaktour erwischt, den bei brennendender Sonne wäre das Rudern echt mühsam gewesen und unsere Schultern wahrscheinlich verkohlt.


Am meinem dritten Tag in Paraty ließen wir uns auch vom leichten Nieselregen nicht von weiteren Aktivitäten abbringen und machten daher einen kleinen Ausflug mit dem Bus. Unser Ziel war ein kleines Naturschutzgebiet mit einer spaßigen Naturrutsche und einer Hängebrücke bei einem kleinen Wasserfall. 




São Paulo
Da das Wetter immer schlechter wurde, entschied ich mich am folgenden Tag für die Fahrt nach São Paulo. Anniko, Jakob und Fredrik taten es mir gleich und so ging es für alle gemeinsam mit dem Bus in die mit über 18 Mio. Einwohnern größte Stadt Südamerikas. Dort wartete mein Cousin Daniel am Busbahnhof bereits auf mich. Nachdem er meinen Reisefreunden noch Hilfestellung gab, wie sie schnellstmöglich mit der Metro in ein gutes Hostel gelangen konnten, ging es für Daniel und mich erstmal in eine von über 6000 Pizzerien, die es in der Stadt gibt. "Wie du ja sicherlich gemerkt hast, gibt es in Brasilien sehr viel Buffetrestaurants (Self-Service genannt) bei denen pro Kilo abgerechnet wird. Das kann manchmal echt teuer werden, gerade wenn man viel Hunger hat. In São Paulo ist daher Rodízio sehr beliebt. Das ist wie "All you can eat", nur dass du dabei von Kellnern so lange bedient wirst bis du stop sagst weil du kurz vorm platzen bist. Du zahlst dafür meist einen echt akzeptablen Fixpreis. Rodízio ist hier am beliebtesten mit Pizza, mit Sushi oder mit Churrasco (gegrilltem Fleisch)." So die Worte von Daniel, als wir bereits auf dem Weg zum Restaurant in der Nähe seiner Wohnung waren. An diesem Abend war für uns wie gesagt Pizza dran und ich aß so viel wie schon lang nicht mehr. 
Irgendwie mochte ich São Paulo und deren Paulistas, wie die Einwohner dieser Monsterstadt genannt werden. Die schnelllebigste Stadt Lateinamerikas hat nicht nur eine Riesenauswahl an Essensmöglichkeiten, sondern darüber hinaus zich viele Bars und Pubs sowie zahlreiche Clubs als Ausgehmöglichkeit zu bieten. São Paulo ist aber auch die Arbeiterstadt Brasiliens schlecht hin und zusammen mit dem Restgebiet des gleichnamigen Staates der Motor des Landes. Über 40% des Bruttoinlandsprodukts Brasiliens wird im Staat São Paulo erwirtschaftet. Die größte Rivalität haben die Paulistas mit den Cariocas aus Rio, denn diesen wird vorgeworfen, dass sie den ganzen Tag nur am Strand entspannen, während die Paulistas fleißig ihrer Arbeit nach gehen. 
Das Stadtbild São Paulos kann man mit so mancher nordamerikanischen Großstadt durchaus mithalten. Die Wolkenkratzer sind je nach Stadtteil unterschiedlich modern. Die bekannteste Straße ist die Avenida Paulista. Hier wurde nach der Stadtgründung ein Bürogebäude neben dem anderen gebaut bis irgendwann kein Platz mehr war und neue Büroviertel entstehen mussten. 


Zwischenzeitlich verließ ich São Paulo. Mich zog es für ein paar Tage mal wieder ... ja wo auch sonst hin, an einen Strand. Die Ilhabela hatte ähnlich schöne Strände wie die Ilha Grande zu bieten, doch leider war der Entspannungsfaktor hier nicht allzu groß, da der größte Anteil der Bewohner Moskitos sind. Die Küstenstadt Ubatuba hingegen, war dagegen alles, nur nicht schön. Aufgrund eines brasilianischen Feiertags, der auf einen Montag viel, war der Strand so voll, dass Baden und Schwimmen fast zur Unmöglichkeit wurde.
Ansonsten verbrachte ich viel Zeit mit Daniel in São Paulo. Wir zogen abends durch Pubs mit guter Musik oder schauten uns Fußballspiele an, einmal sogar live im Stadion. Ich durfte ihn sogar einmal bei seiner Arbeit zum Mittagessen besuchen. Seit zwei Monaten arbeitete er nämlich für die brasilianische Niederlassung von Facebook. Wer hier arbeitet, kann sich ein Glückspilz nennen. Hier isst jeder Mitarbeiter mehrmals am Tag umsonst. Frühstücksbüffet, Mittagsbuffet, Nachmittagskaffee und darüber hinaus während der gesamten Arbeitszeit kalte und warme Getränke sowie Eis, alles wie gesagt umsonst. 



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